Epigramm
Das Lesen und Analysieren von Versen
Im Lateinischen werden Wörter nach dem Dreisilbengesetz betont. Wenn die vorletzte Silbe lang (–) ist, wird sie betont; ist sie kurz (˘), wird bie Möglichkeit die drittletzte betont.
Eine Silbe ist lang, wenn
- sie von Natur aus lang ist, d.h. einen langen Vokal enthält oder Diphtonge (Doppelvokale) vorliegen: ae, ai, au, eu, oe, oi.
- sie durch Position (Setzung) lang ist. Dies ist der Fall, falls ihr Vokal zwar kurz ist und auch so gesprochen wird, ihm aber mehrere Konsonanten folgen.
Zur Positionslänge kommt es im Allgemeinen nicht bei der Zusammenstellung von Mutae (stummen Verschlusslauten: b, p, d, t, g, c) und Liquidae (fließenden, beliebig lang aushaltbaren Konsonanten: l, m, n, r).
X und Z können die vorausgehende Silbe längen, weil sie aus zwei Konsonanten entstanden sind, da x aus gs oder cs (z.B. rex aus regs) und z aus ds entstanden ist. Qu wird nicht so behandelt, da es für k ähnlich wie c steht.
Das H wird kaum gesprochen, da es kein eigentlicher Buchstabe war, sondern darauf hinwies, dass der folgende Vokal mit einem stärkeren Luftstrom gesprochen werden sollte, die sogenannte Aspiration (Behauchung). Bei Konsonanten wurde eine behauchte Aussprache gekennzeichnet.
Die Römer hoben die betonten Silben wahrscheinlich durch die Aussprache in einer höheren Tonlage hervor (musikalischer Akzent). Es verlor sich bei den Römern um 400 n. Chr.
„Faustregeln“ zur Quantität der Endsilben
Vokale im Auslaut sind lang außer das „e“. Ausnahmen sind:
- „-a“ ist kurz als Nom. und Vok. Sg. fem. sowie als Nom./Akk. Pl. neutr., z.B. bei femina, maria, corpora
- „-e“ ist lang
- im Abl. Sg. der e-Dekl, z.B. die, re
- im Imperativ Sg., z.B. mone
- bei Adverbien: longe, valde (aber bĕnĕ und mălĕ)
- in einsilbigen Wörter: e, de, me, ne (aber -quĕ, -vĕ u.ä.)
Konsonantisch auslautende Endungen außer „-as, -es, -os“ sind kurz. Ausnahmen sind:
- „-es“ ist kurz im Nom. Sg. der Wörter auf „-es, -itis und -es, -etis“.
- „-is“ ist lang
- im Plural, z.B. terris, hostis
- in der 2. Pers. Sg. Ind. Praes. Aktiv der i-Konj., z.b. audis
- im Wort vis
- „-us“ ist lang
- im Nom. Sg. der kons. Dekl. bei langem „-u-“ im Genetiv, z.B. salus (salūtis), ius (iūris)
- im Gen. Sg. und Nom./Akk. Pl. der u-Deklination, z.b. manūs, fructūs
Analyse eines Hexameters
Ein Hexameter besteht aus sechs Metren, die Daktylen (lang, kurz, kurz) oder Spondeen (lang, lang) sind. Die erste lange Silbe ist immer betont, was mit einem Strich (´) über dem Vokal angegeben wird.
Dabei sind im ersten bis vierten Versfuß Daktylen oder Spondeen und im fünften immer ein Daktylus. Im sechsten Versfuß kommt eine betonte lange Silbe und eine unbetonte Silbe vor, die lang oder kurz sein kann und deshalb einfach mit x angegeben wird;
Also sieht das Schema wie folgt aus:
| — υ¯υ | — υ¯υ | — υ¯υ | — υ¯υ| — υ υ| — x |
Synalöphe (Verschmelzung)
Endet ein Wort mit einem Vokal und beginnt das folgende Wort ebenfalls mit einem Vokal, so verschmelzen die beiden Vokale miteinander. Dies nennt man Synalöphe. Es gibt dabei zwei Möglichkeiten: die Elision und die Aphärese.
Elision („Ausstoßung“)
Der auslautende, d.h. der erste, Vokal wird unterdrückt bzw. ausgestoßen (=elidiert).
Beispiele: saep[e], ubi constiterant; cupi[o] omnia
Endet ein Wort auf -am, -um, -em, -im, so tritt ebenfalls eine Elision auf. Beispiele: quant[um] abest; imperator[em] expulerunt
Elision tritt auch auf, wenn das nachfolgende Wort mit einem „h“ beginnt, da dies nicht als Buchstabe gilt, also quasi nicht da steht. Beispiele: quant[um] hoc; imperator[em] hac via
Aphärese („Wegnahme“)
Hier fällt der anlautende (=zweite) Vokal weg. Dies ist der Fall, wenn das zweite Wort eine mit
e- beginnende Form von „esse“ ist.
Beispiel: aut hoc si nimium [e]st; sata [e]st
Positionslänge
Eine Silbe mit einem Vokal ist durch Stellung bzw. Setzung positionslang, wenn auf den Vokal mehrere
Konsonanten folgen. Dies gilt auch über die Wort- und Satzgrenze hinaus.
Beispiel: intellego; fidem rectumque; aetas, quae vindice nullo
Die Positionslänge kann entfallen, wenn auf einen Vokal die Kombination von Mutae (b/p; d/t; g/c)
und Liquidae (l/r; m/n) folgt.
Beispiel: tenebrae; peregrinum; cogente creatis
Vorgehensweise
- 1. Schritt: Überprüfung auf Synalöphen im Vers mit anschließender Kennzeichnung
- 2. Schritt: „Erledigung“ des fünften und sechsten Versfußes sowie der ersten Silbe
- 3. Schritt: Überprüfung auf Positionslängen mit Kennzeichnung
- 4. Schritt: Bearbeitung des Rests mit Hilfe der Faustregeln
Zäsuren
Zäsuren sind Einschnitte, bei denen das Wortende in das Metrum fällt. Sie kommen im Hexameter vor.
- Zäsur nach der dritten Hebung (Penthemimeres): Hauptzäsur
- Zäsur nach der zweiten Hebung (Trithemimeres): Nebenzäsur
- Zäsur nach der vierten Hebung (Hephthemimeres): Nebenzäsur
Das Distichon
Ein Distichon ist ein „Zweiteiler“, der aus einem Hexameter und einem Pentameter besteht. Da es häufig in der Elegie (Liebeslyrik) verwendet wurde, nennt man es auch „elegisches Distichon“. Man findet es oft in Epigrammen, z.B. sind circa 70% der martialschen Epigramme in dieser Form verfasst.
Die Form des Pentameters
Er besteht aus zwei Hälften, wobei bei jeder Hälfte der letzte Versfuß nur aus einer Silbe besteht, also unvollständig ist.
Dabei ist zu beachten, dass nur in der ersten Hälfte die Daktylen durch Spondeen ersetzt werden; die zweite bleibt unverändert. In der Mitte des Verses, wo zwei Ictus aufeinandertreffen, entsteht eine auffällige Zäsur.
Er hat folgendes Schema: — υ¯υ | — υ¯υ | — || — υυ | — υυ | x |
Zusammengefasst sieht ein Distichon also so aus:
— υ¯υ | — υ¯υ | — υ¯υ |
— υ¯υ| — υ υ| — x |
— υ¯υ | — υ¯υ |
— || — υυ | — υυ | x |